4. Gutes im Leben anderer bewirken
Wer sich die Grundhaltung der Liebe angeeignet hat, will einen positiven Beitrag im Leben anderer leisten. Dieser positive Beitrag sollte nicht an Erwartungen gekoppelt sein. Wenn wir jemandem etwas Gutes tun und schon im Sinn haben, was wir demnächst dafür einfordern werden, ist das ein Geschäft. Natürlich muss eine Führungskraft auch Forderungen an Mitarbeiter stellen. Hier geht es aber um die grundsätzliche Haltung. Gebe ich nur, um selbst einen Vorteil daraus zu ziehen, oder gebe ich dem Menschen zuliebe?
Wenn wir Mitarbeitern etwas Gutes tun wollen, müssen wir zuerst einmal wissen, was das für die jeweilige Person bedeuten kann. Eine Aufgabe, die für den einen Mitarbeiter eine willkommene Förderung ist, kann für den anderen eine Bestrafung sein. Es ist in diesem Zusammenhang immer wieder überraschend, wie wenig ernst manche Führungskräfte die Mitarbeitergespräche nehmen. Ich erinnere mich heute noch mit Betroffenheit an den Mann, der mir bei einer Veranstaltung zu diesem Thema sagte: »Mit mir hat sich in den letzten acht Jahren kein Vorgesetzter unterhalten.« Diese Person leitete sogar ein Team, war also selbst Führungskraft. Was für ein Mangel an Liebe und Wertschätzung. Woher will der Vorgesetzte wissen, was diesen Mann bewegt? Was mag er an seinem Job und was nicht? Was sind seine Erfolge? Was würde er in Zukunft gern leisten? Zu all diesen Fragen kann der Vorgesetzte keine Antworten geben und dementsprechend auch nichts davon umsetzen. Um für die Mitarbeiter etwas Gutes zu bewirken, braucht es den regelmäßigen Austausch. Auch hier ein paar Beispiele, wie Sie als Führungskraft etwas Gutes bewirken können:
⇒ Manchmal bedeutet »Gutes im Leben des anderen bewirken« auch, einem Mitarbeiter Grenzen zu setzen. Gut bedeutet nicht immer angenehm. Es ist gut für uns, eine klare Rückmeldung zu bekommen, wenn wir uns falsch verhalten. Stellen Sie sich vor, ein Mitarbeiter macht häufiger Scherze auf Kosten von Kollegen. So etwas kann sehr witzig sein, wenn dabei die Wertschätzung erhalten bleibt und etwas liebevoll Ironisches mitschwingt. Bei manchen Menschen rutschen solche Bemerkungen aber schnell unter die Gürtellinie ab und wirken verletzend. Wenn Sie das als Chef wahrnehmen, dann ist es ihre Aufgabe, dem Mitarbeiter ein klares Feedback zu geben. Auch wenn ihnen das wahrscheinlich beiden eher unangenehm ist, tun Sie dem anderen mit dem Gespräch etwas Gutes.
⇒ Ich habe früher bei den Auswahlgesprächen für einen sehr begehrten High-Potential-Pool mitgewirkt. Am Ende des Tages gab es meist wenige Zu- und viele Absagen. Für meine Abschlussgespräche suchte ich mir stets nur Absagen aus. Die anderen Teilnehmer der Kommission bedauerten mich manchmal deswegen, weil sie diese Art von Gespräch für sehr unangenehm hielten. Ich antwortete dann im Allgemeinen, dass ich die Gespräche gern führe. Natürlich ist eine Absage für den Empfänger nicht angenehm. Wenn der Bewerber dabei aber ein ehrliches, wertschätzendes und vor allem präzises Feedback erhält, wie man ihn an dem Tag wahrgenommen hat, wo seine Stärken und Schwächen lagen, kann er für sich sehr viel daraus lernen.
⇒ Eine Möglichkeit, etwas Gutes für die eigenen Mitarbeiter zu tun, besteht unter anderem darin, sie bei Karrierechancen gehen zu lassen und sogar zu unterstützen. Manche Vorgesetzte versuchen, die Leistungsträger zu halten, weil diese ihnen natürlich viel Arbeit abnehmen. Ich habe in einem Unternehmen einmal mitbekommen, dass ein Vorgesetzter seine exzellente Mitarbeiterin nicht für den unternehmensweiten High-Potential-Pool vorgeschlagen hat. Darauf angesprochen gab er unumwunden zu, die Mitarbeiterin lieber in der Abteilung behalten zu wollen. Er sah die Gefahr, dass sie von anderen Abteilungen abgeworben wird, wenn sie erst einmal im »Goldfischteich« sichtbar wäre. Eine solche Einstellung ist egoistisch. Die Führungskraft will nur sich selbst etwas Gutes tun. Ohne sich darüber bewusst zu sein, zeigt sie mit ihrem Verhalten ein deutliches Mangeldenken, mit dem sie auf Dauer nicht erfolgreich sein wird. Man darf sich auch fragen, welche Wirkung es auf die Mitarbeiterin hat, wenn sie merkt, warum sie nicht vorgeschlagen wurde.
Diese Beispiele sollen genügen. Sie werden sicherlich im Alltag viele Gelegenheiten finden, etwas Gutes für Ihre Mitarbeiter zu tun, wenn Sie präsent sind.
Auch hier gilt: Um Gutes im Leben anderer zu bewirken, sollte man zuerst einmal Gutes im eigenen Leben bewirken. Der erste Schritt zu einer Haltung der Liebe ist die Selbstliebe. Gemeint sind nicht Narzissmus oder Egoismus, die mit echter Selbstliebe nichts zu tun haben, ja sogar die Abwesenheit derselben anzeigen. Selbstliebe meint die Anwendung der vier Grundelemente der Liebe auf die eigene Person: Selbstwahrnehmung, Selbstachtung, Eigenverantwortung und Selbstfürsorge. Ohne Selbstliebe sind wir nicht fähig, andere zu lieben. Dies kommt indirekt in dem Gebot »Liebe (deinen Nächsten wie) dich selbst« zum Ausdruck. Selbstliebe beginnt damit, sich selbst zu sehen, sich anzunehmen und zu achten. Dazu gehört, die eigenen Unzulänglichkeiten, Schwächen und Fehler zu akzeptieren und damit umzugehen.
Was es bedeutet, wenn die Haltung der Liebe nicht vorherrscht, hat der chinesische Philosoph Laotse beschrieben:
Es gibt nur eine Großmacht auf Erden …
DIE LIEBE
Pflichtbewusstsein ohne Liebe macht verdrießlich
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos
Wahrhaftigkeit ohne Liebe macht kritiksüchtig
Klugheit ohne Liebe macht betrügerisch
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch
Macht ohne Liebe macht gewalttätig
Ehre ohne Liebe macht hochmütig
Besitz ohne Liebe macht geizig
Glaube ohne Liebe macht fanatisch
All diese Zeichen des Mangels lassen sich in Unternehmen beobachten. Niemand wird aber als großartiger Leader oder mit der Grundhaltung der Liebe geboren. Beides können Sie sich aber erarbeiten. Erwarten Sie dabei keine Perfektion von sich selbst. Wenn Ihnen etwas gut gelingt, seien Sie dankbar. Wenn das nicht der Fall ist, werden Sie es beim nächsten Mal besser machen. Mit der Zeit müssen Sie immer weniger überlegen, wie Sie handeln sollen, weil sich die neue Haltung festigt. Das Schöne ist auch, dass Sie an jedem Menschen üben können. Beginnen Sie doch bei Ihren Kindern. Wie oft kritisieren wir diese, weil sie sich nicht wie kleine Erwachsene verhalten, und übersehen ihr wunderbares Wesen? Fragen Sie sich auch hier: Sehe ich ihn/sie? Wenn wir bessere Eltern werden, können wir auch bessere Chefs werden. Wer gelernt hat zu lieben, kann dies auf andere Lebensbereiche übertragen. So werden Sie ein Chef, der im besten Sinne Spuren im Leben und im Herzen der Menschen hinterlässt.
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