Einfühlungsvermögen oder Empathie macht sicherlich einen großen Teil von Menschlichkeit in der Führung aus. Andererseits werden Führungskräfte nicht unbedingt dafür bezahlt, nett zu sein, oder in den Worten eines Managers: »Meine Hauptaufgabe ist es nicht, hier Nestwärme zu erzeugen.« Man erwartet von Führungskräften, dass sie mit ihren Mitarbeitern vor allem Leistung erzielen. Es kommt hinzu, dass der Job des Vorgesetzten eine beträchtliche Zahl an unangenehmen Aufgaben mit sich bringt. Dazu gehören Kritik-, Abmahnungs- und Kündigungsgespräche. Ebenfalls unangenehm können Ressourcenentscheidungen sein. Wenn man dem einen Mitarbeiter Budget bewilligt, muss man es dem anderen aufgrund begrenzter Mittel verweigern. Letzterer wird trotz einer rational nachvollziehbaren Begründung enttäuscht und vielleicht auch verärgert sein. Als Führungskraft muss man sich manchmal bis zu einem gewissen Grad von den Emotionen distanzieren, die man bei anderen auf solche Weise auslöst. Wenn man die Enttäuschung oder die Verärgerung eines Mitarbeiters persönlich nimmt, reibt man sich auf. Ein Leader kann nicht allen gefallen und es nicht allen recht machen. Zwar sollte er die Gefühle anderer grundsätzlich wahrnehmen, manchmal ist der Schutz vor bzw. die Distanzierung von den Emotionen des anderen aber angebracht.
Einen Mangel an Empathie findet man in vielen Chef-Etagen
Genauso angebracht und notwendig ist es aber in sehr vielen Situationen, sich mit den Emotionen und Sichtweisen des Mitarbeiters zu befassen und auf diese einzugehen. Das fällt vielen Vorgesetzten erstaunlich schwer. »Ich bin eher der rationale Typ«, ist ein Satz, mit dem Manager sich häufig selbst beschreiben. Diese meist als Stärke gesehene Eigenschaft ist bezogen auf Führung in Wahrheit eher eine Schwäche. Häufig ist diese Aussage eine beschönigende Formulierung für einen Mangel an Empathie. Mit den Geschichten, wie sich Vorgesetzte deshalb wie der Elefant im Porzellanladen benommen haben, lassen sich ganze Bücher füllen. Jeder wird dazu seine eigenen Beispiele im Kopf haben. Warum aber fällt es vielen Managern so schwer, sich emotional auf andere einzustellen?
Hier hilft die Definition des Begriffes weiter. Die Brockhaus-Enzyklopädie1 bestimmt Empathie als »Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Erlebensweise anderer Menschen einzufühlen«. Eine Führungskraft braucht also sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen. Tatsächlich mangelt es nicht wenigen Vorgesetzten an einer oder gar an beiden Voraussetzungen.
Bereitschaft zur Empathie
Empathie muss man wollen! Sich in andere hineinzuversetzen, ihre Gedanken und Gefühle zu erahnen, geschieht nicht einfach so. Es ist ein bewusster Willensakt. Dafür benötigt man Interesse.
Im altgriechischen Theater trugen Schauspieler die »Persona«, eine geschnitzte Holzmaske, deren Gesichtsausdruck die Haupteigenschaft der dargestellten Person anzeigte. Den Begriff der Persona hat C. G. Jung in die moderne Psychologie übertragen. Die Persona ist der Teil von uns, den wir nach außen hin zeigen. Dazu gehören zum Beispiel unser Jobtitel, unsere Kleidung, bevorzugte Marken, unsere Redeweise und alles, womit wir uns nach außen hin (z. B. in Social Media) darstellen. Hinter der Persona befindet sich das »individuelle Ich«. Dazu gehören Empfindungen, von denen wir nicht wollen, dass andere sie wahrnehmen, so zum Beispiel unsere Ängst, Sorgen und Triebe. Hier finden sich aber auch unsere Leidenschaft, Freude und Liebe. Nur wer es schafft, die Persona und das individuelle Ich in Balance zu halten, wirkt authentisch. Gerade bei ehrgeizigen Führungskräften kann man jedoch beobachten, dass Menschen sich so stark mit ihrer Persona identifizieren, dass sie mit dieser nahezu verschmelzen und das individuelle Ich dahinter verkümmert. Ein solcher Mensch lebt dann für den Titel, der auf seiner Visitenkarte steht, sein Ansehen und seinen Konsum. Gleichzeitig achtet er auch bei anderen Menschen auf deren Persona und nimmt das individuelle Ich des anderen kaum noch wahr. Dies wird manchmal sehr deutlich, wenn man auf die Sprache achtet. Manche Ärzte fragen »Wie geht es der Niere auf Zimmer 6?« statt »Wie geht es dem Patienten Baumann?«. Ähnlich reduzieren auch manche Vorgesetzte Menschen auf bestimmte Rollen-Eigenschaften, wenn sie bezogen auf Kollegen abwertend vom »Personaler«, dem »Betriebsrat« oder dem »ITler« sprechen. Personen werden dann nicht mehr als Individuen gesehen, sondern nur noch als Funktionsträger. Bei den eigenen Mitarbeitern lassen Bezeichnungen wie »Kostenfaktor«, »Bedenkenträger« oder »Leistungsverweigerer« auf wenig Bereitschaft zur Empathie schließen.
Fähigkeit zur Empathie
Selbst wenn die Bereitschaft zur Empathie gegenüber den eigenen Mitarbeitern und Kollegen aus anderen Bereichen vorhanden ist, heißt das noch lange nicht, dass man auch die Fähigkeit dazu hat. Drei Entwicklungen verhindern bei vielen Führungskräften ein hohes Maß an Empathie:
- Nur wenige Menschen haben gute Vorbilder, von denen sie empathisches Verhalten lernen können. Am wichtigsten sind dabei ohne Zweifel die eigenen Eltern. Wir lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Wie ist das bei Ihnen? Waren Ihre Eltern selbstreflektiert? Besaßen Sie ein hohes Maß an menschlicher Reife? Haben sie Ihnen im Familienalltag vorgelebt, wie man wertschätzend und empathisch miteinander umgeht? Wenn Ihre Antwort »Ja« lautet, können Sie sich glücklich schätzen. Die wenigsten haben solche guten Vorbilder gehabt. Viele Eltern sind in ihren starren Rollen, in Konventionen und Ego-Denken gefangen und genau das leben sie vor.
- Unsere Sozialisierung läuft eher auf die Verdrängung und Unterdrückung »störender« Emotionen anstatt auf die Wahrnehmung und den bewussten Umgang mit den eigenen Emotionen hinaus. Das gilt im besonderen Maß für die Sozialisierung der Jungen (»ein Indianer kennt keinen Schmerz«), aber auch für viele Mädchen. Wer jedoch große Teile der eigenen Emotionalität verdrängt, verlernt auf Dauer, diese bewusst wahrzunehmen. Wer sich selbst gegenüber nicht empathisch ist, der kann es auch bei anderen nicht sein.
- Führungskräfte sind oft einem starken Druck ausgesetzt. Dafür gibt es neben den vielen Effizienzprogrammen der letzten Jahre eine Reihe weiterer Gründe. Dieser Druck, das stetige Gefühl des Gehetztseins und das immerzu nagende Gefühl, weniger zu schaffen, als man sich vorgenommen hat, verhindern Empathie. Wir sind innerlich beschleunigt, der Kreisel in unserem Kopf rast. Um sich in den anderen einzufühlen, benötigen wir aber eine zumindest kurze innere Entschleunigung. Das ist nicht mal schnell auf Knopfdruck zu leisten; es braucht einen Moment der Besinnung. Auch der sich dauernd wiederholende Blick ins Smartphone führt zu einem Verlust an Präsenz, also der Wahrnehmung des Hier und Jetzt und damit der Wahrnehmung der anderen Person.
Ein erster Schritt hin zu mehr Empathie kann darin bestehen, sich selbst gegenüber einfühlsam und empathisch zu sein statt die eigenen Gefühle wegzuschieben. Wenn man es bei sich selbst nicht kann, wie will man es dann bei anderen können? Viele Manager verdrängen Belastendes und lenken sich mit Arbeit ab. Gut wäre es, ab und an innezuhalten und zu spüren, wie es einem wirklich geht. Mit Druck, Ängsten und Verärgerung kann man meist besser umgehen, wenn man sich diese bewusst macht. Dazu gehört auch, sich zu verzeihen, wenn man Fehler gemacht hat oder die eigene menschliche Schwäche zu einem nicht adäquaten Handeln geführt hat.
Ein deutlicher Hinweis für einen Mangel an Selbstempathie ist übrigens der Verlust des Körpergefühls. Für viele Manager hat der Körper einfach zu funktionieren und nichts zu wollen. Sie nehmen die Signale des Körpers nicht wahr oder missachten sie einfach. Hunger? Wird mit Arbeit übergangen! Durst? Merkt man erst Stunden später, wenn der Hals vor Trockenheit bereits deutlich brennt. Müdigkeit? Schnell einen Kaffee in den Körper kippen! Wirklich ernst genommen wird der Körper mit seinen Bedürfnissen oft erst dann, wenn Schmerzen oder Fehlfunktionen auftreten oder der Arzt substanzielle Drohungen ausspricht. Eine gute Selbstempathie geht dagegen mit einem guten Körperempfinden Hand in Hand.
Waren Ihre Eltern Ihnen ein Vorbild an Empathie?
- Wie empathisch auf einer Skala von 1 bis 10 sind Sie gegenüber anderen (1 bedeutet »sehr schwach« und 10 »sehr stark«)?
- Sind Sie sich selbst gegenüber empathisch?
- Haben Sie ein gutes Körperempfinden?
Wenn Sie mehr über (Selbst-)Empathie lernen und diese verbessern wollen, empfehle ich Ihnen das Buch »Führen mit EQ«. In diesem kurzweiligen Ratgeber erfahren Sie, was Sie konkret tun können, um Ihre emotionale Intelligenz und Ihre Empathie zu steigern.
1 Brockhaus – Die Enzyklopädie in 24 Bänden, Band 6, 20. Aufl., Mannheim 1997