2. Befähigung
Wenn Mitarbeiter bisher eher autoritär geführt wurden und kaum selbstständig entscheiden durften, sind diese mit einer plötzlichen und weitgehenden Autonomie sehr wahrscheinlich erst einmal überfordert. Das widerlegt nicht etwa das Prinzip. Denken Sie an Ihre eigene Berufsbiografie, in der Sie die Übernahme von Verantwortung vermutlich auch Schritt für Schritt erlernt haben.
Ein Manager, der direkt für einen bekannten Vorstandsvorsitzenden in Deutschland arbeitete, erzählte mir folgende Episode: Sein Chef hatte um die Jahrtausendwende die Nachfolge eines der einflussreichsten deutschen Manager des 20. Jahrhunderts angetreten. Dieser Jahrhundertmanager war noch ein echter Alleinherrscher. Seinen Vorstand führte er, indem er sich beraten ließ, aber schließlich alleine entschied. Die Aufgabe seines Vorstands bestand darin, ihn mit Informationen zu versorgen und von ihm getroffene Entscheidungen umzusetzen. Wer eine andere Meinung hatte als er und nicht auf den Punkt und sehr stichhaltig argumentieren konnte, wurde vor den anderen bloßgestellt. Der Nachfolger nun kam aus einer Kultur, in der die Mitarbeiter aller Hierarchieebenen ein hohes Maß an Eigenverantwortung trugen und Teamorientierung großgeschrieben wurde.
Auf ebendiese Weise versuchte er seine neue Funktion im »alten« Vorstand wahrzunehmen. Und war ein ums andere Mal verblüfft. Wenn er die Vorstände nach ihren Meinungen fragte, drückten sie sich stets zustimmend bis nichtssagend aus. Diese Männer (ja, nur Männer) mit Millionengehältern waren es nicht gewohnt, sich eine eigene Meinung zu bilden und zu vertreten. Sie waren nur darin geübt, Informationen zu sammeln und vorzutragen, aufgrund derer der frühere Chef dann entschieden hatte. Die wiederholte Aufforderung, ihre Kritikpunkte und Gegenargumente einzubringen, bewirkte nichts. Es dauerte fast ein Jahr, bis der Neue es geschafft hatte, dass die Mitglieder des Vorstands ernsthaft eigene Ideen vertraten und auch mal ungefragt Gegenargumente vorbrachten. Ein Lernprozess für beide Seiten.
Wenn es bei den macht- und entscheidungsgewohnten Vorständen eines Dax-Konzerns schon ein Jahr dauerte, bis sie sich an die Übernahme von Verantwortung in diesem Kreis gewöhnt hatten, können Sie sich vorstellen, wie lange es bei Mitarbeitern dauern kann, bis diese willens und auch fähig sind, Selbstverantwortung zu übernehmen. Sie sollten daher den Grad des Empowerments an die Erfahrungen der Mitarbeiter anpassen und Schritt für Schritt steigern. In welchem Umfang Sie Menschen Verantwortung und Macht übertragen können, bestimmen insgesamt drei Kriterien:
- die fachlichen Erfahrungen,
- die Reife der Persönlichkeiten,
- die Vorerfahrung mit Empowerment.
Wenn Mitarbeiter fachlich und/oder persönlich nur wenig qualifiziert sind, ist ein beschränkter Grad an Bevollmächtigung empfehlenswert. Wenn Sie bisher selbst nicht viel Erfahrung mit Empowerment haben, müssen Sie sich auch erst einmal selbst befähigen und Vertrauen in die Methode gewinnen, indem Sie langsam, aber kontinuierlich Verantwortung übertragen.
Lesen Sie hier weiter: Wie Sie Ihre Mitarbeiter aktivieren