Kurzkritik
Matthew Syed ist hier ein fantastisches Buch über das Thema Talent gelungen. Er argumentiert sehr stringent, anschaulich und praxisnah, was den meisten Führungskräften gefallen wird. Die erste Hälfte des Buches bringt das Thema phänomenal auf den Punkt. Die zweite Hälfte vertieft dagegen eher Aspekte, die speziell die Entwicklung von Talenten im Sport betreffen.
Titel: Was heißt schon Talent? Mozart, Beckham, Federer und das Geheimnis von Spitzenleistung
Autor: Matthew Syed
Seiten: 351
Verlag: Riemann
Preis: 14 €
Ausführliche Kritik
Der Autor Matthew Syed (*1970) ist Journalist und war in den 1990er Jahren die Nummer 1 der englischen Tischtennisprofis. Sein Buch erschien 2010, also nach den Talent-Büchern und Bestsellern von Gladwell, Coyle und Colvin. Er hat den Trend genutzt, indem er seine eigenen Erfahrungen und Nachforschungen mit dem Besten aus den genannten Titeln kombiniert, die er korrekt zitiert. Der erste Teil seines Buches ist daher eine hervorragende Zusammenfassung der Sachbücher zum Thema Talent. Der Autor übernimmt aber nicht nur, sondern liefert darüber hinaus viele Erkenntnisse und Beispiele, die ich bisher nicht gelesen hatte.
Sein Buch ist in drei Teile gegliedert:
1. Der Talentmythos
Die ersten 170 Seiten widmet Syed den Thesen der Talent-Diskussion. Zuerst einmal stellt er die von allen genannten Autoren angeführte 10.000-Stunden-Regel vor. Er zerstört an mehreren Beispielen den Mythos von Wunderkindern und zeigt auf, wie sich durch langjährige Übung Spitzenleistung erzielen lässt. Syed erläutert sehr verständlich, wie genau diese Übung aussehen muss, denn ältere Menschen sind in ihrem Leben durchaus 10.000 Stunden Auto gefahren, ohne darin jemals besser zu werden. Er betont den Aufbau von spezifischem Wissen, dessen Bedeutung andere Autoren weit weniger hervorheben. Sehr interessant ist auch die Unterscheidung zwischen statischem und flexiblem Selbstbild. Je nachdem, welches davon Sie haben oder Ihren Kindern vermitteln, wird beruflicher Erfolg wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher. Diese 170 Seiten sind exzellent und hervorragend auf den Punkt gebracht. Eine perfekte Zusammenfassung der aktuellen Talent-Diskussion!
2. Der irrationale Verstand
Würde das Buch nach Seite 170 enden, bekäme es 5 Sterne und wäre eine Pflichtlektüre. Die folgenden 180 Seiten sind zwar auch interessant und gut lesbar, aber für eine Führungskraft weniger relevant. Hier wendet sich der Autor immer mehr reinen Sportthemen zu. Im Kapitel über den »Placeboeffekt« beschreibt er, wie der Wille und Glaube an sich selbst Berge versetzen kann. Bei »Leistungsabfall unter Druck« wird das sogenannte Choking erläutert, ein neuronaler Störimpuls, durch den der implizite unbewusste Verarbeitungsmodus durch einen expliziten bewussten ersetzt wird. Den Effekt kennen Sie, wenn Sie sich in einer Situation vor lauter Nervosität wie ein Anfänger verhalten und jegliche Souveränität verlieren, die Sie normalerweise bei dieser Tätigkeit an den Tag legen. Im letzten Kapitel des zweiten Teils geht es dann um Aberglauben. Auch wenn die Inhalte durchaus Interessantes enthalten, betrifft dies kaum den Arbeitsalltag in Unternehmen.
3. Weiterführende Betrachtungen
Im dritten und letzten Teil geht es dann um Themen wie Wahrnehmung, Doping und falsche Verallgemeinerungen. Auch hier gab es für mich einige Einsichten (zum Beispiel zur Legalisierung von Drogen oder zu Rassenvorurteilen), aber für den eiligen Manager ist das kaum relevant.
Syed schreibt für ein Sachbuch hervorragend. Er verwendet eine sehr leicht verständliche Sprache, strukturiert und argumentiert sehr gut. Ich empfehle jeder Führungskraft, die sich für das Fördern von Mitarbeitern/Talenten interessiert, den ersten Teil des Buches mit seinen 170 Seiten zu lesen! Das Buch ist derzeit in deutscher Sprache nur noch als eBook erhältlich.
Fazit:
Das Buch ist im ersten Teil eine hervorragende, didaktisch ansprechende und sehr stringente Zusammenfassung der davor erschienenen Talentbücher. Das Ganze wird angereichert durch Erlebnisse und eigene Einsichten des Autors. Die ersten 170 Seiten seien jeder Führungskraft ans Herz gelegt!
© 2015 Alexander Groth (www.leadershipjournal.de)