Pater Leo Maasburg, der langjährige geistliche Begleiter von Mutter Teresa, erzählt in seinem äußerst lesenswerten Buch »Mutter Teresa: Die wunderbaren Geschichten« diese anschauliche Begebenheit:
Die Friedensnobelpreisträgerin hatte in Bonn eine Rede gehalten. Anschließend wurde sie sowie einige Ordensschwestern und Leo Maasburg mit dem Hubschrauber weitergeflogen. Während des Fluges packte Mutter Teresa eine Tafel Schokolade aus, die sie geschenkt bekommen hatte und selbst gerne aß. Sie stand auf und ging in das Cockpit zu den Piloten. Als sie zurückkam, verteilte sie den Rest der angebrochenen Tafel an ihre Schwestern. Direkt nach der Landung stiegen die Piloten als Erste aus dem Hubschrauber und stellten sich links und rechts der Treppe auf. Mutter Teresa und die Schwestern gingen hinunter. Leo Maasburg folgte ihnen als Letzter und beschreibt die Situation so:
»Als ich am Ende der Treppe zu den Piloten kam, sah ich, dass einer Tränen in den Augen hatte. Ich fragte ihn, ob es ihm nicht gut gehe. Er sagte: ›Wissen Sie, ich fliege seit 25 Jahren mit diesem Helikopter, und ich habe viele große und berühmte Persönlichkeiten damit geflogen, aber noch nie habe ich von irgendjemand etwas bekommen. Heute zum ersten Mal: Mutter Teresa hat mir Schokolade und eine Wundertätige Medaille geschenkt.‹«1
Dazu muss man wissen, dass Mutter Teresa häufig Wundertätige Medaillen mit dem Abbild der Mutter Gottes verschenkte. Über 40.000 dieser traditionellen Medaillen soll sie nach eigener Aussage persönlich überreicht haben. Dabei küsste sie die Wundertätige Medaille meist, bevor sie diese übergab und dem Beschenkten andeutete, wie man diesen kleinen Anhänger am Hals trägt, sodass die Mutter Gottes einen beschützt. Wer würde nicht aus den Händen der berühmten Nonne ein solches Geschenk, das Hilfe und Kraft bringen soll, erhalten wollen? Man kann erahnen, welche Freude sie mit dieser kleinen Geste bei dem Piloten ausgelöst hat.
In dieser Geschichte zeigt sich eine Eigenschaft, die Mutter Teresa mit anderen Friedensnobelpreisträgern wie zum Beispiel Nelson Mandela gemeinsam hat: Sie besaß die Fähigkeit einer starken Präsenz gepaart mit Empathie. Leo Maasburg schreibt darüber, wie Mutter Teresa mit anderen Menschen in Kontakt trat:
»Wenn Sie sich jemandem zuwandte, um mit ihm zu sprechen, dann war sie voll auf ihn konzentriert. Dann gab es nur sie und diese Person mit ihren Fragen und Sorgen. […] In diesem Moment, mochte er Sekunden oder Minuten dauern, war man für Mutter Teresa der wichtigste Mensch.«2
Und an anderer Stelle:
»Durch die Art, wie sie jemanden begrüßte, wie sie Aufmerksamkeit schenkte, veränderte sie die Atmosphäre in jedem Raum, den sie betrat. […] Wenn man sie besuchte, hatte man immer den Eindruck, sie habe auf niemand anderen gewartet. Bei meiner ersten Begegnung mit ihr schrieb ich es dem Bischof zu, in dessen Begleitung ich war. In Wirklichkeit begrüßte sie immer jeden Menschen mit einem strahlenden Lächeln, unabhängig von seinem Rang und seiner gesellschaftlichen Position.«3
Mutter Teresa war uneingeschränkt präsent. Dafür muss der Geist im Hier und Jetzt sein und nicht an einem anderen Ort oder in einer anderen Zeit. Nur wer präsent ist, nimmt die Menschen seiner Umgebung klar wahr und kann empathisch handeln.
In einem meiner Bücher gehe ich der Frage nach, wie man ein Chef wird, den die Mitarbeiter niemals vergessen, natürlich im positiven Sinne. Präsenz und Empathie sind zwei der vier Faktoren, die Menschlichkeit in der Führung ausmachen. Leider sind diese aber keineswegs selbstverständlich. Viele Vorgesetzte vermitteln ihren Mitarbeitern stattdessen stets, dass sie sehr beschäftigt und in Eile sind. Sie wirken gehetzt und damit gleichzeitig wenig souverän. Im Geiste sind sie meist schon bei den nächsten anstehenden Aufgaben und Terminen oder sie richten ihre Aufmerksamkeit auch in Anwesenheit von Mitarbeitern auf ihr Smartphone. Damit fehlt die Präsenz, die Wahrnehmung des Augenblicks und des Gegenübers. Sich dem Gegenüber zu widmen, benötigt Interesse am anderen und damit verbunden oft auch einen gewissen Grad an Demut. Es sind die vielen kleinen Momente, die darüber entscheiden, was für eine Persönlichkeit man ist. Nehmen Sie sich Zeit für Ihr Gegenüber. Seien Sie präsent.
Wie sieht das bei Ihnen aus? Sind Sie präsent? Wer sind die Hubschrauberpiloten in Ihrem Leben? Bei welcher Person in Ihrem Umfeld sollten Sie mehr präsent sein?
1 Maasburg, Leo: Mutter Teresa – Die wunderbaren Geschichten, München 2010, S. 86 f.
2 Ebenda, S. 117.
3 Ebenda, S. 107.
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