Es gibt viele Formen von Mitarbeitergesprächen. In diesem Artikel geht es um die Königsdisziplin: das jährliche Mitarbeitergespräch und das von mir empfohlene zusätzliche halbjährliche Mitarbeitergespräch.
Das Mitarbeitergespräch ist eines der wichtigsten Leadership-Tools
Umso fataler ist es, wenn es schlecht angewendet wird. Anfang der 2000er-Jahre begleitete ich einen DAX-Konzern bei der offiziellen Einführung von Mitarbeitergesprächen. Bis dahin war es den Führungskräften selbst überlassen, ob sie solche Gespräche führten oder nicht. Ich fragte bei der Einführung fast 100 Manager, welche Erfahrungen sie bei ihrem eigenen Vorgesetzten bisher mit Mitarbeitergesprächen gemacht hatten. Hier drei Originaltöne von Führungskräften:
- »Mit mir hat in den letzten sieben Jahren keiner ein Gespräch geführt.«
- »Mich hat der Chef mal auf dem Flur abgefangen. 20 Minuten später stand ich wieder auf dem Gang. Später habe ich dann erfahren, dass das mein Mitarbeitergespräch gewesen sei.«
- »Mein Chef sieht das als lästige Formalie an nach dem Motto: ›Da müssen wir jetzt durch.‹«
Nur ein einziges Mal habe ich diese Antwort bekommen:
- »Mein Chef ist in dem Gespräch immer super vorbereitet und verspricht mir dann Dinge, bei denen ich denke: ›Das schafft er nie.‹ Er hält seine Versprechen aber Jahr für Jahr und übertrifft sie sogar manchmal noch.«
Das Mitarbeitergespräch – Ein Ausdruck von Wertschätzung oder Geringschätzung
Wo stehen Sie selbst? Was würden Ihre Mitarbeiter über Ihre Mitarbeitergespräche erzählen? Versetzen Sie sich einmal in die Lage der Mitarbeiter: Sie arbeiten im Jahr 220 Arbeitstage für das Unternehmen. Und die direkte Führungskraft nimmt sich genau einmal im Jahr Zeit für ein Gespräch mit Ihnen.
Welches Signal sendet diese Führungskraft an ihre Mitarbeiter, wenn im Gespräch klar wird, dass sie schlecht vorbereitet ist und offensichtlich angestrengt nach Beispielen sucht, um ihrem vage formulierten Feedback etwas Substanz zu verleihen? Die Botschaft lautet im Klartext: »Du bist es nicht wert, dass ich mir vor so einem Gespräch Gedanken über dich mache!« Und diese Botschaft kommt an, auch wenn sie meist gar nicht beabsichtigt ist.
Manche Vorgesetzte sagen: »Ich brauche kein formelles Mitarbeitergespräch, ich rede lieber so mal mit den Leuten über das Jahr verteilt ganz zwanglos in der Kaffeeküche.« Diese Vorgesetzten möchte man fragen: »Glauben Sie ernsthaft, dass der Mitarbeiter Ihnen in der Kaffeeküche mal eben freimütig erzählt, dass es in seinem Privatleben eine Veränderung gibt, die ihn den Schlaf und viel Kraft kostet? Oder dass er Probleme mit einer Kollegin hat, die jederzeit hereinkommen könnte?« Für solche Offenheit, für das Gespräch über Bedürfnisse, Hoffnungen und Ziele, sind ein geschützter Raum und eine ungestörte Atmosphäre nötig, damit der andere frei sprechen kann.
Ebenso wichtig ist die Vorbereitung des Gesprächs. Gerade Führungskräfte, die viele Mitarbeiter haben und allgemein unter starkem Druck stehen, bereiten sich oft nur sehr kurzfristig und oberflächlich auf die Mitarbeitergespräche vor. Wer sich dafür aber keine Zeit nimmt und die Chance nicht erkennt, die darin liegt, der sollte sich fragen, wie er Führung (Artikel: Was ist Führung?) für sich definiert. Ein sehr gut vorbereitetes Mitarbeiterjahres- oder Halbjahresgespräch ist nämlich Führungsarbeit im besten Sinne.
Mit einem guten Mitarbeitergespräch können Sie viel erreichen:
- Der Mitarbeiter fühlt sich anerkannt und respektiert.
- Der Mitarbeiter ist motiviert.
- Sie können den Mitarbeiter noch besser einsetzen.
- Sie bekommen Feedback zu Ihrer Führungsarbeit.
Bei einem gar nicht oder schlecht durchgeführten Mitarbeitergespräch verpassen Sie diese Möglichkeiten und erreichen das Gegenteil.
Wie das Mitarbeiterjahresgespräch formal aufgebaut sein sollte und welche Fragen Sie dem Mitarbeiter stellen können, finden Sie hier als Arbeitsblatt zum Ausdrucken:
Leitfaden für das Mitarbeitergespräch – DownloadDie folgenden Überlegungen können Ihnen helfen, das Gespräch professionell zu führen und ein Feedback zu Ihrer Arbeit als Chef/in zu bekommen.
1. Das Mitarbeitergespräch – Eine gute Vorbereitung dauert 365 Tage
Wie lange sollten Sie das Mitarbeiterjahresgespräch vorbereiten? Meine Empfehlung: das ganze Jahr über. Wir erinnern uns meist nur an das gut, was in den letzten 100 Tagen passiert ist. Was vor 330 Tagen war, haben wir dagegen vergessen. Oder können Sie noch genau sagen, was Sie vor 11 Monaten gemacht haben? Was waren vor 11 Monaten Ihre wichtigsten Projekte? Was waren Ihre größten Erfolge? Sie wissen es nicht mehr?
Das gilt ebenso für die Leistung Ihrer Mitarbeiter. Wer sich also im Laufe des Jahres keine Notizen über außergewöhnliche Leistungen der Mitarbeiter und Beispiele für deren Stärken und Schwächen macht, wird sie kaum präsent haben. Das »Jahresgespräch« ist dann tatsächlich meist eher ein 3-Monats-Gespräch. Beurteilungen können so schnell einseitig und damit unfair ausfallen.
Meine unbedingte Empfehlung für jede Führungsperson: Legen Sie sich ein Notizbuch oder eine Datei als »Lobbuch« an, in das Sie während des Jahres alles eintragen, was Ihnen an einem Mitarbeiter positiv aufgefallen ist bis hin zu außergewöhnlichen Leistungen. Das ist ein sehr wirkungsvolles Leadership-Tool und eine Voraussetzung für ein gelungenes Mitarbeitergespräch.
2. Das Mitarbeitergespräch – Die Weiterentwicklung des Mitarbeiters planen
Ein wichtiger Baustein des Jahresgesprächs besteht darin, die Weiterentwicklung des Mitarbeiters zu besprechen. Was soll er im nächsten Jahr aus Ihrer Sicht lernen? Welche neuen Aufgaben werden Sie dem Mitarbeiter delegieren? Wie kann man sie oder ihn systematisch voranbringen? Die Mitarbeiter- oder auch Führungskräfteentwicklung ist eine unabdingbare Führungsaufgabe.
Weitsichtige Vorgesetzte analysieren mithilfe der Schlüsselstellenplanung die wichtigsten Stellen in ihrem Verantwortungsbereich und überlegen sich, wen man auf diese Positionen hin entwickeln kann für den Fall, dass der Stelleninhaber das Unternehmen einmal verlässt. Ein solcher gezielter Aufbau eines Mitarbeiters führt meist zu einer sehr hohen Motivation. Das gilt auch dann, wenn Sie der Person nicht sagen, auf welche Stelle hin Sie diese entwickeln wollen. Der Mitarbeiter merkt aber, dass er systematisch und eben nicht willkürlich gefördert wird.
3. Das Mitarbeitergespräch – Wie Sie Feedback zu Ihrem blinden Fleck einholen
Im Gespräch geben Sie dem Mitarbeiter Feedback darüber, wie Sie seine Stärken und Schwächen wahrnehmen. Im Gegenzug haben Sie die Chance, selbst ein Feedback zu bekommen. Bitten Sie den Mitarbeiter zum Ende des Gesprächs, Ihnen eine Sache zu sagen, die er an Ihnen schätzt, und im Anschluss eine Sache, was Sie in Zukunft besser machen oder sogar lassen könnten. Erfahrungsgemäß nennt Ihnen der Mitarbeiter ohne großes Zögern eine Eigenschaft, die er an Ihnen gut findet.
Wenn Sie ihn anschließend zur Kritik auffordern, fällt ihm dagegen scheinbar nichts ein. Hier rät Robert Steven Kaplan hartnäckig zu sein und freundliche, klare Signale zu senden, dass Sie der/dem anderen gern Zeit zum Nachdenken lassen, bis sie/er eine Antwort hat. Manchen neuen Mitarbeitern, die das noch nie erlebt haben, tritt sogar der Schweiß auf die Stirn. Was sie dann nach einigem Zögern sagen, trifft den Vorgesetzten allerdings unter Umständen wie ein Hammerschlag.
Seien Sie darauf gefasst, dass unter Umständen keine Kleinigkeit zur Sprache kommt, sondern vielleicht sogar ein charakterliches Defizit. Für einen solchen Fall empfiehlt Kaplan, sich freundlich zu bedanken und im Anschluss einen guten Freund anzurufen, um ihm zu erzählen, was man gerade gehört hat. Sagt dieser dann: »Ehrlich gesagt, klingt das schon nach dir!«, können Sie dem Mitarbeiter dankbar sein. Er hat Ihnen einen blinden Fleck in Ihrer Selbstwahrnehmung aufgezeigt und das gesagt, was sehr wahrscheinlich sowieso alle wissen und denken. Das gibt Ihnen die Chance, sich als Chef zu verbessern. Fragen Sie aber nur, wenn Sie auch tatsächlich kritikfähig sind.
Das Mitarbeitergespräch – Selbstreflexion
- Habe ich mich auf das Gespräch gut vorbereitet?
- Führe ich das dazugehörige Lobbuch konsequent über das Jahr hinweg?
- Habe ich eine Entwicklungsplanung für die wichtigsten Stellen?
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