Führungskräfte müssen nicht nur Leistung erbringen, sie sollen dabei auch die kommunizierten Werte des Unternehmens vorleben. Was aber ist zu tun, wenn eine Führungskraft nur Leistungs-, aber keine Werteorientierung umsetzen kann oder will? Fast jeder kennt Beispiele von Chefs, die ihre Ziele zwar erreichen und sogar übertreffen, in deren Abteilung aber Angst und Schrecken herrschen. Was ist in diesem Fall zu tun? Zwei ausgewiesene Leader geben darauf eine Antwort. Jack Welch, einer der erfolgreichsten Manager des letzten Jahrhunderts, bezieht zu der Frage in seinem Buch »Winning – Die Antworten« klar Stellung. Der US-amerikanische General George C. Marshall, der spätere amerikanische Außenminister und Friedensnobelpreisträger, hat Antworten auf die Frage beispielhaft vorgelebt.
Führen und Werte – Vier Mitarbeitertypen nach Jack Welch
Welch unterscheidet Führungskräfte und auch Mitarbeiter danach, ob sie Leistung erbringen und ob sie die geforderten Werte leben. Vier Kombinationen sind möglich:
1. Leistung zu niedrig, Werte werden nicht gelebt:
Das ist der einfachste Fall. Wenn Leistungs- und Werteorientierung (zu) niedrig sind, sollten Sie sich schleunigst von dem Mitarbeiter trennen.
2. Leistung zu niedrig, Werte werden gelebt:
Hier schlägt Jack Welch vor, dem Mitarbeiter eine zweite Chance in einer anderen Position zu geben. Erbringt er dort auch zu wenig Leistung, empfiehlt Welch die Trennung.
3. Leistung hoch, Werte werden gelebt:
Das wünscht sich jeder Chef. Fördern Sie diese Mitarbeiter. Zeigen Sie Wertschätzung und Achtung für die Person. Die Besten aus dieser Gruppe befördern sie auf die nächste Ebene.
4. Leistung hoch, Werte werden nicht gelebt:
Diese Mitarbeitergruppe ist die eigentliche Herausforderung, an der viele Unternehmen scheitern. Jack Welch vertritt eine klare Meinung, wie Führungskräfte mit dieser Gruppe umgehen sollten und welchen Fehler viele Unternehmen und Vorgesetzte hier begehen.
Führen und Werte – Woran Unternehmen scheitern
Immer wieder höre ich in Unternehmen von Führungskräften, in deren Abteilung die Fluktuation der Mitarbeiter ein bedenkliches Ausmaß angenommen hat. Diejenigen, die gehen, machen im Ausstandsinterview auch keinen Hehl daraus, warum sie das Unternehmen verlassen. Die Führung durch den bisherigen Chef oder die Chefin sind schlichtweg eine Zumutung und die Arbeit unter ihnen ein Gräuel. Die verbleibenden Kollegen sehen das meist genauso. In der Regel wissen das auch die Vorgesetzten der Führungskraft, handeln aber oft nicht. Spricht man sie darauf an, antworten sie, sie wüssten um das Problem, aber leider sei die Person fachlich nicht zu ersetzen. Mitgedacht, aber nicht ausgesprochen, wird vermutlich noch ein anderes Argument: Die Leistung der Abteilung stimmt, wenn auch zum Preis der hohen Fluktuation und einer schlechten Atmosphäre.
Müssen Unternehmen diesen Preis zahlen? Jack Welch empfiehlt, sich unbedingt von Führungskräften zu trennen, wenn sie Werte des Unternehmens wie zum Beispiel Teamgeist, Fairness und Wertschätzung ignorieren, und zwar gerade auch dann, wenn sie eine sehr gute Leistung erbringen. Welch argumentiert, man könne sich das ganze Geschwätz über Werte sparen, wenn man solche Leute bzw. solches Führungsverhalten dulde. Die Botschaft ist dann nämlich allen klar: »Mach, was du willst. Die Werte sind egal, solange deine Zahlen stimmen.«
Sollen die Werte jenseits der Fensterreden und Hochglanzbroschüren ernst genommen werden, muss man diese Leute austauschen. Den Grund für die Kündigung einer Führungskraft, die den Anforderungen nicht gerecht wird, soll man laut Welch offen aussprechen. Eine gern verwendete Floskel bei Kündigungen lautet: »Herr Meier möchte sich in Zukunft anderen beruflichen Herausforderungen widmen.« Welch empfiehlt Klartext: »Wir haben Herrn Meier geschasst, weil er die Unternehmenswerte mit Füßen getreten hat.« So ein Kommentar spricht sich herum. In Zukunft wird man Sie ernst nehmen, wenn Sie über Werte sprechen. Sie dürfen auch davon ausgehen, dass der Nachfolger erfährt, warum sein Vorgänger gegangen wurde, und die gleichen Fehler nicht wiederholt. Jack Welch über einen Vorgesetzten, der Werte missachtet: »Nehmen Sie ihn sich zur Brust und feuern Sie ihn, wenn er sich weigert, sein Verhalten zu ändern. […] Sehr häufig behalten Unternehmen diese Leuteschinder viel zu lange und zerstören dabei sowohl die Moral als auch das Vertrauen der Belegschaft.«1
In der Praxis gibt es leider auch Gründe, die eine Entlassung erschweren:
- Die Leistung wird erbracht.
- Die Person hat Spezialwissen, das nur schwer zu ersetzen ist.
- Es wurde kein Nachfolger aufgebaut.
- Der Wechsel der Führungskraft kostet Zeit und Geld.
Wie ernst man Welchs Argumente dennoch nehmen sollte, zeigt ein anderer sehr erfolgreicher Leader.
Führen und Werte – Positionen besetzen wie George C. Marshall
George C. Marshall war einer der wenigen Fünf-Sterne-Generäle der US Army, bevor er 1947 amerikanischer Außenminister wurde und 1953 den Friedensnobelpreis (für den Marshallplan) erhielt. Als er 1939 das Amt des Chief of Staff of the Army übernahm, war er für den Aufbau der US-amerikanischen Armee und die Berufung der Offiziere zuständig. Die US Army nahm 1939 mit weniger als 200.000 Soldaten in der Größe gerade einmal Rang 19 der Armeen weltweit ein.2 Außerdem gab es keinen einzigen ranghohen Offizier in der Army, der für den aktiven Dienst noch jung genug gewesen wäre. Die Armee wurde daraufhin bis 1945 auf 8,26 Mio. Soldaten vergrößert und vielen vergleichsweise jungen Offizieren Befehlsgewalt übertragen. Ein so schnelles Wachstum kann desaströs verlaufen. Es kam anders. Peter Drucker schreibt über das von Marshall zusammengestellte Offizierskorps: »Und dennoch hatte Marshall 1942 die größte und eindeutig fähigste Gruppe ranghoher Offiziere in der Geschichte der Vereinigten Staaten herangebildet.«3
Wie hat er das vollbracht? Peter Drucker schreibt dazu in »The Effective Executive«:
»Während des Zweiten Weltkriegs bestand General Marshall darauf, dass ranghohe Offiziere umgehend ihres Amtes zu entheben seien, wenn sie Geringeres als wirklich exzellente Leistung erbrächten. Die Befehlsgewalt eines solchen Offiziers aufrechtzuerhalten, so erklärte er, sei nicht mit der Verantwortung vereinbar, die das Heer und die Nation den Männern unter seinem Kommando schuldig seien. Die Einwendung ›Aber wir haben keinen Ersatz‹ lehnte er strikt ab und gab zu bedenken: ›Sie wissen, dass dieser Mann seiner Aufgabe nicht gewachsen ist. Nur darauf kommt es an. Wo ein Ersatz zu finden sein könnte, das ist dann die nächste Frage.‹«4
General Marshall gab solchen Offizieren aber auf einer anderen Position eine zweite Chance. Er vertrat die Ansicht, dass der Fehler bei ihm lag, wenn ein Offizier nicht die erwartete Leistung erbrachte, denn er hatte ihn auf die Stelle berufen und ihn offensichtlich falsch eingeschätzt. Also musste er ihm eine Position verschaffen, wo er seine Stärken gut einbringen konnte. Wie besetzte er die vakant gewordenen und auch alle weiteren Positionen?
»Marshall besetzte jede einzelne Führungsposition mit dem am besten qualifizierten Mann – unabhängig davon, wie sehr er in seiner bisherigen Stellung gebraucht wurde. ›Diesen Schritt sind wir der Aufgabe schuldig […] wir sind ihn diesem Mann schuldig und wir sind ihn unseren Truppen schuldig‹, erwiderte er, wenn jemand – gewöhnlich von ganz oben – ihn anflehte, ihm nicht einen ›unerlässlichen‹ Mann zu nehmen.«5
Führen und Werte – Reflexion
- Was können Sie von Jack Welch und George C. Marshall lernen?
- Was sind Sie den Mitarbeitern, dem Unternehmen und den Kunden schuldig, wenn jemand nicht gut führt?
- Wie wollen Sie in Zukunft mit Führungskräften und Mitarbeitern verfahren, die entweder Werte leben, aber zu wenig Leistung erbringen oder die Leistung zeigen, dabei aber offensichtlich gegen Werte verstoßen?
1 Jack Welch: Winning – Die Antworten, Frankfurt 2007, S. 61 f.
2 Mark A. Stoler: George C. Marshall – Soldier-Statesmann of the American Century, New York 1989, S. 69.
3 Peter Drucker: The Effective Executive, München 2014, S. 96.
4 Ebenda, S. 96.
5 Ebenda, S. 97.
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