Ein wichtiges Prinzip, mit dem Sie außergewöhnliche Ergebnisse erzielen können, ist die Konzentration auf Stärken. Peter F. Drucker hat dieses Prinzip bereits 1967 in seinem Buch »The Effective Executive« zum ersten Mal vorgestellt. Dort zählt er die vielen Eigenschaften auf, die man von Führungskräften heute erwartet, um dann zu dem Schluss zu kommen:
»Was hier gefordert wird, ist ein universelles Genie – und universelle Genies sind seit jeher ein knappes Gut. Die Erfahrung der menschlichen Spezies deutet stark darauf hin, dass die einzige im Überfluss vorhandene Art Mensch der universelle Stümper ist. Aus diesem Grund werden wir unsere Organisationen mit Leuten besetzen müssen, die sich bestenfalls in einem dieser Bereiche hervortun. Und es ist mehr als wahrscheinlich, dass sie höchstens Grundkenntnisse in allen anderen Bereichen mitbringen. Wir werden lernen müssen, unsere Organisationen so auszulegen, dass jeder Mensch mit herausragenden Fähigkeiten in einem wichtigen Bereich seine Stärken auch effektiv einsetzen kann.«
Schwächen sind »offen-sichtlich«
Auf den meisten Gebieten sind wir tatsächlich nur Stümper. Versucht man sich selbst oder einen Mitarbeiter auf einem solchen Gebiet zu entwickeln, erzielt man bei den Ergebnissen fast immer Mittelmaß. Eine langfristige Bestleistung erzielen wir nur dort, wo Menschen schon eine Stärke mitbringen. Diese gilt es zu erkennen und zu fördern. Was selbstverständlich klingt, ist leider nicht so leicht umzusetzen.
Viele Vorgesetzte sind schlecht darin, Stärken aufzuspüren. Sie beschäftigen sich lieber mit den Schwächen der Mitarbeiter als mit den Stärken. Das fällt leichter. Schwächen feststellen kann jeder noch so unfähige Vorgesetzte. Dafür muss man nämlich nichts tun. Die Schwächen sind das, was den Vorgesetzten täglich belastet. Man kommt gar nicht umhin, sie wahrzunehmen. Wenn ein Mitarbeiter unsicher ist im Umgang mit wichtigen Kunden, muss man nur einmal danebenstehen, um das zu bemerken. Spricht jemand eine Sprache nicht gut, hören wir das. Ist das Selbstmanagement nicht gut, vergisst der Mitarbeiter Termine und liefert Arbeiten zu spät ab. Schwächen sind »offen-sichtlich«, weil sie nervig sind. Manchen Vorgesetzten erscheint es dann fast zwingend, an diesen zu arbeiten. »Da schicken wir Sie mal auf ein Seminar«, ist eine häufige Reaktion. Das aber ist falsch!
Denken Sie an Ihre Schulzeit zurück. Wenn ein Schüler schlecht in Mathe war, bekam er Nachhilfe. Was passierte dann? Wurde er Klassenbester in Mathe? Studierte er anschließend Mathematik? Gewann er vielleicht sogar eine der bedeutenden Auszeichnungen auf diesem Gebiet? Sie kennen die Antwort. Das Ziel der Nachhilfe ist für Eltern eine solide 3, weil meistens auch nur das realistisch ist.
Durch die Arbeit an Schwächen ist selten Spitzenleistung entstanden, sondern meist Mittelmaß. Besser wäre es daher, die Mitarbeiter dort weiterzubilden, wo sie bereits Anlagen mitbringen. Ein Beispiel: Ein erfahrener Mitarbeiter, der sehr gut präsentieren konnte, repräsentierte sein Unternehmen regelmäßig bei Kundenterminen und Ausschreibungen. Gerade weil er sehr gut war, bezahlte ihm sein Unternehmen ein Einzelcoaching bei einem Redner-Kollegen von mir. Als Folge ist er heute so gut, dass er bei Angebotspräsentationen manchmal Standing Ovations bekommt – vom Kunden! Und natürlich steigert er die Unternehmensumsätze. Eine solche Spitzenleistung erzielen Sie nur, wenn Sie die Menschen dort weiterentwickeln, wo sie schon gut sind.
Stärken können Sie entdecken
Schwächen springen meist sofort ins Auge. Wie aber sieht es mit den Stärken aus? Sind diese ebenfalls »offen-sichtlich«? Ganz im Gegenteil! Ein Mitarbeiter besitzt mitunter Stärken, die weder er selbst noch das Umfeld auf Dauer bewusst wahrnehmen.
Um diese festzustellen, muss der oder die Vorgesetzte sich wirklich für die Person interessieren und sie regelmäßig beobachten. Schon an diesem Interesse scheitert es oft. Im nächsten Schritt sollten Sie als Führungskraft das Kostbarste investieren, was Sie zu vergeben haben, Ihre knappe Zeit. Um Stärken zu finden, muss man reflektieren: Wie habe ich einen Mitarbeiter erlebt? Was hat er besonders gut gemacht? Wo könnte demnach eine Stärke liegen? Welche Aufgabe kann ich dem Mitarbeiter geben, um zu überprüfen, ob der einmal erbrachte Erfolg kein Zufall war, oder um ihn weiter zu testen?
Egal, welche Aufgabe Sie betrachten, es gibt immer Menschen, die darin eine besondere Stärke entwickelt haben. Aber kann man das wirklich für alle Berufe behaupten, selbst für die vermeintlich einfachen? Aber sicher! Nehmen wir als Beispiel eine als eher anspruchslos angesehene Arbeit: Putzen. Gibt es bei einer solchen scheinbar simplen Tätigkeit Unterschiede? Jeder, der im beruflichen oder privaten Umfeld verschiedene Reinigungskräfte kennengelernt hat, wird das sofort bejahen. Meine Frau und ich sind beruflich sehr engagiert und holen uns hier schon lange Unterstützung. Im Laufe der Jahre haben wir die Unterschiede erlebt. In einem Fall musste ich nach meiner Heimkehr immer in den Mülleimer schauen, ob sich darin eine neue Mülltüte befand. Wenn »Ja«, war sie da gewesen. Der Wohnung sah man es aber nicht an. Unsere jetzige Hilfe ist dagegen jemand, bei der die ganze Wohnung nicht nur geputzt, sondern wie frisch renoviert aussieht, wenn die Arbeit getan ist. Wenn ich selbst putze, sieht es trotz größter Anstrengung nicht im Ansatz so aus. Sie macht ihre Aufgabe gern und ist ein Profi. Sie reinigt nicht nur, sie arrangiert die Dinge auch wunderbar. Ich habe größten Respekt vor jedem Menschen, der seine Arbeit auf eine meisterlichen Art macht. Was für eine Reinigungskraft, den gelernten Kellner und andere Dienstleister gilt, ist erst recht für Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter ein Fakt. Es gibt immer jemanden, der genau diesen Job besonders gut macht, weil er eine zentrale Stärke mitbringt.
Eine Pflicht ersten Ranges für Leader ist es daher, gute Personalauswahlgespräche zu führen. Diese Aufgabe wird immer noch viel zu oft an Personaler delegiert oder aber im hohen Maße unprofessionell durchgeführt. Immer wieder höre ich von Managern, die 80 Prozent der Zeit im Personalauswahlgespräch selbst reden. Richard Branson hat treffend formuliert: »Niemand kann etwas lernen, wenn er sich selbst beim Reden zuhört.« Jeder Manager sollte trainieren, halbstrukturierte Interviews zu führen und in der Einschätzung von Bewerbern ein Profi zu werden. Das ist absolute Chefaufgabe! Bevor man aber ein gutes Auswahlgespräch führen kann, muss man Klarheit darüber gewinnen, welche ein bis drei zentralen Stärken für diese Stelle erforderlich sind. Diese können dann im Interview abgefragt werden.
Sehr empfehlenswert als Chef/in ist es , sich ein Stärkenjournal anzulegen und regelmäßig zu notieren, welche Stärken Sie bei Ihren Mitarbeitern beobachtet haben. Zwingen Sie sich in den ersten beiden Wochen, täglich eine Eintragung zu machen. So wird Ihnen auffallen, bei wem Sie bereits Stärken identifizieren konnten und bei wem noch nicht. Dieses Buch öffnet Ihren Wahrnehmungsfilter für Stärken der Mitarbeiter. Sie beginnen Muster zu entdecken, die Ihnen bisher noch nicht aufgefallen sind. Vor allem bei den Mitarbeitern, bei denen es Ihnen schwerfällt, sollten Sie genau hinschauen. Auch diese haben Stärken und sie freuen sich wahrscheinlich sehr, wenn sie dazu ein Feedback von Ihnen bekommen.
Ich kann diese „Konzentrieren Sie sich auf Stärken“-Einseitigkeiten balld nicht mehr hören! Wollen Sie etwa einen Mitarbeiter, der präsentationsstark ist, darin noch stärker machen und damit sein bspw. katastrophales Selbstmanagement ausgleichen?? Schwächen zu schwächen, ist genauso wichtig wie Stärken zu stärken! Eine Führungskraft, die das ignoriert, ist keine Führungskraft, sondern ein Illusionist.
Hallo Frau Brauer,
das schließt sich ja nicht aus. Natürlich muss man bestimmte Schwächen bearbeiten und zwar immer dann, wenn etwas jemand davon abhält, in seinem Job wirklich gut zu sein. Selbstmanagement gehört sicherlich dazu. Manche Führungskräfte arbeiten aber sehr viel mit Schwächen, weil diese leicht feststellbar sind. Sie fallen auf und nerven die Führungskraft. Die Stärken zu sehen ist wesentlich schwieriger. Dafür muss man sich die Zeit nehmen, die Mitarbeiter zu beobachten und vor allem zu reflektieren. Das tun aber die wenigsten in einer konsequenten Form. Nicht alle Stärken sind so „offen-sichtlich“ wie ein Präsentationstalent. Viele Vorgesetzte basteln lieber immer wieder an den Schwächen herum.
Jede Führungskraft sollte übrigens auch die eigenen Schwächen kennen und daran arbeiten, soweit sie die eigenen Führung negativ beeinflussen. Die Frage ist aber, wo man den langfristigen Schwerpunkt legt, auf die Stärken oder die Schwächen.
Aus meiner Erfahrung gibt es keine Schwächen, es gibt nur nicht gut ausgeprägte Stärken. Der Betrachtungswinkel ist dabei entscheidend, welche Stärken „offen-sichtlich“ sind.
Lieber Herr Schmidt,
ich glaube schon, dass jeder Mensch Schwächen hat, an denen man besonders als Führungskraft arbeiten kann und auch sollte. Ob man an Schwächen glaubt oder nicht, hängt aber natürlich sehr davon ab, wie man das Wort „Schwäche“ definiert. Da haben wir vielleicht unterschiedliche Definitionen.
Beste Grüße
Alexander Groth
Hallo Herr Groth,
ein schöner Beitrag, vielen Dank hierfür. Es ergänzt Ihre Bücher und passt auch in bestehende Führungsmodelle wie das Reifegradmodell. Denn nur durch das aktive Entwickeln von Stärken und sofern notwendig, arbeiten an den Ausbaufeldern eines Mitarbeiters; nicht alle Ausbaufelder müssen bearbeitet werden; kann man den Mitarbeiter auf das nächste Level bringen.
M.E. ist dies ein wirkungsvoller Weg den Mitarbeiter zu motivieren und weiterzuentwickeln. In Kombination mit den Ansätzen von Dale Carnegie, ein nachhaltiger Weg in der Führung.
Ich freue mich auf weitere Beiträge von Ihnen.
Beste Grüße
Christian Becker