Kurzkritik
Eckhart Tolle gelingt es, mit klaren Worten und Argumenten zu verdeutlichen, warum unser Ego uns rund um die Uhr im Griff hat und wie wir seinen negativen Einfluss reduzieren können. Auch Leser, die sich für sehr rational halten und wenig für Spiritualität interessieren, werden sich der brillanten Logik von Tolles Argumenten nicht entziehen können.
Der Weg, den er aufzeigt, scheint mir höchst erstrebenswert. Besonders bei diesem Buch dürfte aber die Umsetzung der Inhalte das Schwierige sein. Wer es schafft, erreicht Weisheit und eine neue Bewusstheit.
Autor: Eckhart Tolle
Seiten: 319
Verlag: Arkana
Preis: 15 €
Ausführliche Kritik
Eckhart Tolle ist einer der anerkannten Weisheitslehrer unserer Zeit. Seine Bücher sind in 30 Sprachen übersetzte Megaseller und Firmen wie Google laden ihn ein, vor ihrer Belegschaft zu sprechen. In diesem Buch beschäftigt sich Tolle im ersten Teil mit der Funktionsweise unseres Egos. Er erläutert diese sehr anschaulich an zwei Enten, die sich im Teich streiten. Sobald eine der beiden gewonnen hat, schwimmen die Enten auseinander und schlagen dabei noch ein paarmal mit den Flügeln, um die überschüssige Energie abzubauen. Das wars. Wären die Enten Menschen, kämen der Verlierer-Ente Gedanken wie: »Ich glaubs einfach nicht, was er da gerade gemacht hat. Er ist bis auf 15 Zentimeter an mich herangeschwommen. Er denkt wohl, der Teich gehört ihm. Meine Privatsphäre ist ihm völlig schnurz …« (S. 148). In dieser Art geht der innere Dialog weiter. Diese Stimme in uns, die wütend, enttäuscht oder beleidigt rumort, ist unser Ego. Es ist ein Teil unseres Verstandes, der sich verselbstständigt hat. Tolle beschreibt dieses Ego und seine Mechanismen mit schonungsloser Präzision. Selbst Menschen, die mit Spiritualität nichts am Hut haben, werden sich seiner klaren und nachvollziehbaren Argumentation nicht entziehen können. Als Leser fühlte ich mich immer wieder ertappt, beschrieben und damit angesprochen. Beim Lesen des Buches wird einem selbst bewusst, wie extrem wir von unserem Ego gelenkt werden. Schafft man es, das eigene Ego im Zaum zu halten, kann man damit bei sich selbst Ärger, Groll, Rechthaberei, Überlegenheitsgefühle, Ängste, Unglücklichsein und so ziemlich alle anderen negativen Empfindungen reduzieren. Die Tatsache, dass all die eben genannten Gefühle im Alltag immer wieder aufkommen, zeigt aber, wie schwierig es ist, sich dem Einfluss des Egos zu entziehen. Die Hürde vom Verstehen der Inhalte des Buches zu deren Umsetzung ist groß. Auch wenn man die Funktionsweise des Egos mithilfe dieses Buches versteht, kann man sich seiner Wirkung nur schwer entziehen. Die Stimme im Kopf wirkt nun mal leider so echt und wir sind seit Jahrzehnten gewohnt, uns mit ihr zu identifizieren.
Tolle ist der Erste, der mir verständlich gemacht hat, warum es tatsächlich erstrebenswert ist, »präsent«, also im Hier und Jetzt zu sein und das Denken ruhen zu lassen, so oft es möglich ist. Zwar hatte ich vorher schon viel über Achtsamkeit und Präsenz gelesen, aber erst mit diesem Buch ist mir klar geworden, was sie bewirkt bzw. was man dafür erhält. Die Wahrnehmungsmechanismen des Egos werden bis Seite 138 in Kapitel 1 bis 4 beschrieben. Allein die Erkenntnisse aus diesem Teil rechtfertigen den Preis des Buches. Allerdings wird hier für manche Leser die Grenze sein, bis zu der sie dem Autor folgen.
Der Grund ist, dass Tolle sich in den Kapiteln 5 und 6 mit der Funktionsweise des »Schmerzkörpers« beschäftigt. Er unterscheidet individuelle und kollektive Schmerzkörper; Letztere können beispielsweise von Völkern oder Nationen entwickelt werden. Der Schmerzkörper besteht aus Schmerzresten, die alte, aber noch lebendige starke, negative Emotionen zurücklassen und die sich zu einem Energiefeld verbinden (S. 152). Dieses Energiefeld nähren wir durch sich wiederholende negative Gedanken zum gleichen Thema. Ich will Tolles Ausführungen zum Schmerzkörper hier nicht weiter umschreiben, Sie sollten sich davon nicht abschrecken lassen, das Buch zu lesen. Ich jedenfalls konnte den Schmerzkörper bei mir selbst dank der hervorragenden Argumentation von Tolle entdecken und verstehen. Was hier vielleicht »esoterisch« klingen mag, arbeitet Tolle argumentativ mit der Präzision eines Gehirnchirurgen heraus. Auch sehr rationale Leser können seine Thesen 1:1 bei sich selbst überprüfen.
In Kapitel 7 und 8 beschäftigt sich Tolle mit der Wahrnehmung von Raum und Zeit. In diesem Teil des Buches wird deutlich, warum es so schwer ist, den mentalen Lärm der Gedanken abzustellen, und warum nur wenige Menschen Erleuchtung finden. Das Abstraktionsniveau dieser Kapitel ist noch einmal angehoben. Man kann die Inhalte nicht mehr direkt auf den eigenen (egogetriebenen) Alltag übertragen, da man den hier beschriebenen Zustand noch nicht erreicht hat. Immerhin bietet Tolle Übungen an, mit denen wir zumindest zeitweise in den inneren Raum eintreten können.
Die Kapitel 9 und 10 sind dagegen wieder weniger abstrakt und sehr anschaulich. Hier zeigt Tolle, wohin die Entwicklung des Einzelnen und der gesamten Menschheit seiner Ansicht nach gehen sollten. In diesen Kapiteln erklärt Tolle auch gesellschaftliche Phänomene. So wurden alte Menschen früher oft geehrt, weil sie ihre spirituelle Dimension entdeckt hatten und das Licht des Bewusstseins durch ihren schwächer werdenden Körper strahlte. Heute hingegen führe Altern bei den Menschen oft zu einer »Verhärtung der Egoschale«, was sich zum Beispiel in Jammern und Klagen äußert.
Der einzige »Nachteil« des Buches ist seine Dichte und der Umfang. Auf knapp 320 Seiten ist so vieles zu entdecken, dass man es bei einmaliger Lektüre kaum aufnehmen kann. Man sollte es deshalb in Etappen oder auch als Ganzes immer mal wieder lesen.
Der Titel »Eine neue Erde« beschreibt übrigens den Zustand, der eintreten soll, wenn genügend Menschen ein neues Bewusstsein entwickelt haben. Ich finde ihn etwas irreführend.
Fazit:
Selten habe ich ein Buch gelesen, das mir so grundlegende Aha-Erlebnisse beschert hat und dessen Umsetzung in meinen Alltag ich mir mehr wünschen würde. Gleichzeitig gibt es kein Buch, bei dem die Umsetzung so schwierig sein dürfte, obwohl der Weg (präsent sein) klar beschrieben wird. Ich habe das Buch bereits zweimal vollständig gelesen und nutze es jetzt als Handbuch, in das ich immer wieder schaue. Eine der besten Erhellungen, die man für Geld bekommen kann. Ich empfehle das Buch nachdrücklich!
© 2015 Alexander Groth (www.leadershipjournal.de)
Hallo,
ich habe auf YT die 4-teilige Hörbuchausgabe „gehört“.
Alles ist gut erkannt und verständlich dargelegt.
Und doch gibt es für mich eigenspirituelle Gründe
alles „Egobeschriebene“ vom Grund her, nicht was es anrichtet,
anders zu betrachten. Was in fast allen Lehren geschieht,
ist, das Ego als quasi nutzlos anzusehen. Wegen eben der Folgen.
Wir sollen das „andere“ ICH, als Raum mit anderem Wahrheitblick,
u.s.w. auch überall ähnlich beschrieben,
in der Tiefe durch Meditation kennenlernen und ihm folgen.
„EGO weg“ ist die (eben doch nicht weise, sondern unreife Botschaft.
Die Natur hätte uns kein EGO gegeben, wenn wir letztendlich keins bräuchten.
Ein Grund PRO EGO fehlt, weil das andere so schön logisch erscheint.
Der evolutionäre Zweck des EGOs ist, im Dialog mit dem „Weisheit-ICH“
„MAß“ zu erlangen, zu reifen, mittels Selbsterkenntnis und Einsicht.
Desweiteren im Dialog mit dem „Weisheit-Ich“ den Gesamtweg erkennen,
UNISONO (PERSON…PER (UNI)“SON“(O) zu werden zum Leben-ZWECK
SELBSTBEGREIFUNG…EGO „SELBST-(BEG)“REIFUNG“-BEWUßT-SEIN“
EGO-REIFE-WEG mittels UNISONO-WEG-REIFE…DIALOG MIT DEM
„WEISHEIT-ICH“ (Gott/Qualia…RAUM)…DAS IST RATIO-INHALT-WEG
incl. EMOTION und INTELLIGENZ IN WAAGE…
RATIO-SELBSTBEGREIFUNG-BEWUßTSEIN-BILDUNG-WEG…
„GENE“_-„RATIO“nen-REIFE-WACHSTUM-_“SUNG“-WEG.
Kurzgefaßt um den Rahmen hier nicht zu sprengen.
Trotzdem sind die Bücher, das Hörbuch, erkenntnisreich.
MfG
Wolfgang Hennig
Hallo Herr Henning,
danke für Ihren Kommentar! Grundsätzlich sehe ich es auch so, dass man das Ego liebevoll führen und entwickeln sollte, anstatt es als Feind anzusehen.
Beste Grüße
Alexander Groth